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Oben im Schwarzwald

Schwarzgrüne Hügel im milden Wellen. Das Licht zeichnet die Silhouette weich. Tiefer Horizont und viel Himmel über ihm. Der Maler und die Staffelei und das kleine, heftgroße Bild auf ihr: Schwarzgrüne Hügel in milden Wellen. Das Licht zeichnet die Silhouette weich. Tiefer Horizont und viel Himmel über ihm. Man kann Peter Dreher über die Schultern schauen bei der Arbeit.

Der Schwarzwald-Tourist

Er sieht den Mann beim Malgeschäft. Dann weiß der Schwarzwald-Tourist alles. Meint, darf meinen, dass er alles weiß. Die Szene, der er begegnet, ist gut dokumentiert. Malen unter freiem Himmel: reich belegt in der Kunstgeschichte, die der Schwarzwald-Tourist abruft. Peter Dreher, ein Landschaftsmaler? Peter Dreher, ein Freilichtmaler? Der Schwarzwald-Tourist kann nicht wissen, dass der Mann beim Malgeschäft immer an der gleichen Stelle sitzt. Dass er seine Mal-Instrumente penibel ausgerichtet hat auf den immer gleichen Landschaftsausschnitt.

Unten in Freiburg

An der Universitätsbibliothek stand der Maler Tag um Tag und hat sich Tag um Tag an die Betonwände gemalt. Mit kümmerlichen Stellwänden kaum abgeschirmt vor nicht immer feinsinniger Neugier. Die Passanten reagierten betroffen. Oder mit jenem Zorn, der immer dann aufsteigt, wenn einer gegen eherne Schamgesetze verstößt. Darf man denn so etwas? Geht der intime Akt malerischer Selbstbefragung die öffentlichkeit überhaupt etwas an? Peter Dreher, ein eitler Selbstdarsteller? Die Passanten haben es nicht wissen, nur fühlen können, dass da nicht einer steht, der den öffentlichen Auftritt sucht, der ihn genießt. Dass sich da einer gestellt hat ­ einer Aufgabe. Das hat mit Erproben zu tun, mit Durchhalten, mit Disziplin, mit Widerstandkraft. Peter Dreher setzt sich aus.

Im Atelier

Warum er denn in der Grafik ausgerechnet die Radierung gewählt habe. Warum er nicht die weichere Lithografie verwende, die doch ohnehin seinen weichen Motiven viel eher entspreche. Er brauche, sagt Peter Dreher, den Widerstand des Materials. Er wolle es spüren, in der Hand, wie die Nadel gegen die Platte angeht. Peter Dreher setzt sich ein.

Was der Maler malt

Landschaft. Sich selbst. Ein Glas. Die Mickymaus. Das Wort "Glück". Zum Beispiel. Ein Idee von Malerei lässt sich den Bildgegenständen nicht abgewinnen. Addiert man die Motive, ergibt sich ein Kanon ohne deutliche Grenzen. Eine Bildwelt jedenfalls nicht. Was nicht heißt, dass das Werk aus der Beliebigkeit, aus dem Zufall heraus wächst. Es ist Auffälliges da, Verbindendes: Die Ansichten wirken still, der Bewegungsablauf dieser Malerei gibt sich zuweilen bestürzend undramatisch, die Dinge sind unheraldsich ins Bild gesetzt, Figuren kommen nicht vor, Lebendiges selten. In nobler Gleichgültigkeit, so hat es den Anschein, übergeht die Malerei ihre Malgegenstände.

Der Realist

Dazwischen malt Peter Dreher ein gegenstandsloses Bild. Wenn Realist sein bedeutet: ein Programm haben, einen Entwurf vorlegen, ein Thema ausbreiten ­ dann ist Peter Dreher ein chaotischer Realist. Dem Realisten Peter Dreher kann es nicht um die Realität Landschaft gehen, nicht um die Realität Glas. Sonst müsste er Landschaften malen und Gläser. Aber nicht immer die Landschaft und das eine Glas.

Wie der Maler malt

Peter Dreher malt ausdauernd. Er malt nicht eine Landschaft und ein Glas und einmal sich. Sondern immer wieder, immer wieder dies, immer wieder so. Immer wieder die gleiche Einstellung. Da ist Geduld dabei und Hartnäckigkeit: Landschaftsausschnitt um Landschaftsausschnitt, Glas um Glas, Selbstporträt um Selbstporträt. Der Gegenstand zum Stereotyp beschnitten. Das macht ihn uninteressant, nimmt ihm alle auf ihn bezogene Aussagekraft. Das Glas gibt keine Information preis, sagt nicht mehr von sich, je häufiger es wiederholt wird. Im Gegenteil. Je häufiger es wiederholt wird, sagt es immer weniger von sich. Bis es nur noch von der Malerei spricht, die es ist.

Wirklichkeit

Was will Peter Dreher beweisen? Dass die Aneignung von Wirklichkeit, wie sie im Wahrnehmungsakt geschieht, immer nur mangelhaft geschieht. Was im Augenblick gilt, gilt im nächsten Augenblick nicht mehr. Peter Dreher malt sinnfällig, anschaulich, was auf den Begriff gebracht so lauten müsste: Die Wirklichkeit des Abgebildeten ist noch keine Garantie für einen dauerhaften Besitz von Wirklichkeit, weil die Wirklichkeit der Abbildung, in die die vielen Unvorhersehbarkeiten des abgebildeten Subjekts eingeflossen sind, eben nicht identisch ist mit der Wirklichkeit des Abgebildeten. Der Maler Peter Dreher beweist nichts, erläutert nichts, erklärt nichts.

Die Haltung

Malen ist für Peter Dreher Haltung. Intransitive Arbeit. Kunst und Leben kreuzen sich. Das Kunstgesetz ist auch das Lebensgesetz: "Ich habe morgens angefangen mit einem Bild, auf das ich das Wort "Glück" geschrieben habe; dann habe ich ein gegenstandsloses Bild gemalt; am Nachmittag habe ich dann ein Bild gemalt, auf dem ich eine Vorlage aus dem Micky-Maus-Heft übernommen habe, und am Abend habe ich dann das Glas gemalt." So beschreibt Peter den Atelierstag. Malen als Selbsterfahrung. Erlebnis der Schwäche und der Stärke. Jedes Bild, das Peter Dreher malt, ist ein Selbstporträt. Es berichtet schonungslos von der Tagesform des Autors, von seiner Bereitschaft zum Einsatz, von Unzufriedenheit und vom Scheitern, von Hoffnung, Intensität und Stimmung. Ein mönchisches Ritual ist dieses Malen und die sehr friedliche, nie großartige Lust am mönchischen Ritual. Ich male, also bin ich.
 
Katalog der Wessenberg-Gemäldegalerie Konstanz, 1980
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